Kritikresilienz – Wachsen an Kritik
In letzter Zeit habe ich mich eingehender mit dem Thema Kritik beschäftigt. Dabei bin ich auf das schöne Wort „Kritikresilienz“ gestoßen. Was es damit auf sich hat und wie wir einen förderlichen Umgang mit Kritik bzw. Feedback entwickeln können, darum geht es in diesem Artikel. Denn Kritik ist ein wichtiger Akt unserer täglichen Kommunikation. Wir geben Kritik und müssen Kritik einstecken. Ob privat, in der Arbeit oder im gesellschaftlichen und kulturellen Leben, wir sind ständig mit Kritik konfrontiert. Aus der Politik ist sie ohnehin nicht wegzudenken. Kritisches Denken ist in vielen Bereichen geschätzt. Es lohnt sich also, sich das Thema genauer anzuschauen.
1. Was ist Kritik? Eine Definition
Unter Kritik verstehen wir die Beurteilung von Verhalten, Vorgehensweisen, Leistungen oder Ideen, bei der meist negative Aspekte angesprochen werden. Die aufgedeckten Fehler oder Schwächen wollen auf Verbesserungsmöglichkeiten hinweisen. Anerkennung und Lob können eingeflochten sein, stehen aber nicht im Vordergrund.
Im Idealfall ist Kritik eine hilfreiche Rückmeldung für persönliches Wachstum oder das Gedeihen eines Projektes.
2. Arten von Kritik
Kritik kann bekanntlich konstruktiv sein oder destruktiv, sachlich oder persönlich. Oft kommt es auf den Ton an, ob wir eine Rückmeldung annehmen wollen oder sie als persönlichen Angriff empfinden. Meist macht der Ton die Musik.
Konstruktive Kritik
Konstruktiv empfinden wir Kritik, wenn uns zwar Negatives mitgeteilt wird, wenn dabei aber respektvoll und unterstützend mit uns gesprochen wird. Wenn wir ermutigt und nicht als ganze Person abgelehnt oder bemängelt werden. Bei Aussagen über negative Aspekte ist auch Wertschätzung und Empathie spürbar. Konkrete, nachvollziehbare Beispiele und Vorschläge zur Verbesserung können uns dabei helfen, die Kritikpunkte anzusehen. Kritik ist konstruktiv, wenn sie auf Entwicklung abzielt. Sie motiviert Menschen, sich für positive Veränderungen zu engagieren. Sie macht uns kooperationsbereit. Als soziale Wesen sind wir auf Rückmeldungen unseres Umfeldes angewiesen. Wir können uns besser orientieren und uns versichern, ob wir dazugehören oder Gefahr laufen, ausgeschlossen zu werden.
Destruktive Kritik
Destruktive Kritik hingegen ist abwertend, pauschalisierend und ohne Lösungsvorschläge. Oft kommt sie als Vorwurf, Tadel, Anklage, Be- oder Verurteilung. Sie bezieht sich häufig nicht nur auf das Verhalten, sondern greift die Person selbst an. Oft reagiert die angegriffene Person mit Rückzug oder sie erwidert mit einem Gegenangriff. Schuldzuweisende oder herabsetzende Kritik wirkt destruktiv. Sie kann unser Selbstbild beschädigen. Auf alle Fälle schafft sie Distanz und belastet die Beziehung der Kommunikationspartner*innen.
Selbstkritik
Auch Selbstkritik kann sowohl konstruktiv als auch destruktiv sein. An und für sich ist Selbstkritik eine wertvolle Fähigkeit, sich selbst bewerten und einzuschätzen zu können. Die Fähigkeit zur Selbstkritik geht einher mit Selbstreflexion. Wir setzen uns mit unseren Stärken und Schwächen auseinander, mit unseren Entscheidungen, Verhaltens- und Arbeitsweisen. Die Fähigkeit zur Selbstkritik macht uns menschlich. Wir wissen, dass wir nicht perfekt sind und dass wir es gar nicht sein müssen, um wertvoll zu sein.
Unsere innere kritische Stimme kann allerdings ganz schön fies sein: nörglerisch, niedermachend, fordernd, fokussiert auf unsere Mängel und Fehlleistungen etc. Wahrscheinlich hat jeder Mensch mehr oder weniger kritischen Stimmen in seinem Kopf. Oft merken wir aber gar nicht, dass diese Stimmen unsere Gedanken beherrschen. Deshalb ist es gut, immer wieder eine beobachtende Haltung einzunehmen, aus der wir unsere Gedanken betrachten. Wir bemerken so vielleicht, dass wir in einer Kritik-Schleife hängen. Wenn wir eine Meta-Position einnehmen können, hilft uns das, Abstand zu unserem inneren Kritiker zu gewinnen und uns zu emanzipieren. Vielleicht gelingt es uns sogar, dem inneren Kritiker empathisch und humorvoll zu begegnen.
Psychologische Wirkung von Kritik
Wie sich Kritik auf unsere Emotionen und unser Selbstwertgefühl auswirken kann, habe ich oben schon skizziert. Natürlich kommt es immer auf die Situation an und den Kontext. Manche Menschen nehmen sich Kritik sehr zu Herzen, andere können gelassener bleiben. Einige werden niedergeschlagen und wollen am liebsten im Erdboden versinken, sie sind beschämt, frustriert oder werden wütend.
Für die meisten Menschen löst Kritik wohl keine angenehmen Gefühle aus. Allerdings gibt es Menschen, die sich von Kritik im positiven Sinn herausfordern lassen, zumindest nach ein bisschen zeitlichem Abstand. All das hängt mit unseren gemachten Erfahrungen zusammen. Wie haben wir die Kritik von unseren Eltern, in der Schule, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz erlebt?
Schätzen Sie sich selbst einmal auf einer Skala von 1 bis 10 ein, wie belastend für Sie Kritik im Allgemeinen ist. Also von minimal belastend/stressig bis maximal belastend/stressig. Wie ist Ihr Ergebnis?
Kritikresilienz
Resilienz ist ja die Fähigkeit, gestärkt aus Krisen hervorzugehen. Analog dazu ist Kritikresilienz die Fähigkeit konstruktiv mit Kritik umzugehen. D. h. Kritik zu hören, ohne emotional aus dem Gleichgewicht zu geraten und ohne sich entmutigen zu lassen. Kritikresiliente Menschen sehen in einer Kritik eine Information und eine Lernchance. Sie können Kritik so aufnehmen, dass sie sie stärkt und weiter bringt, anstatt dass sie sie niederdrückt. Wenn wir also lernen, Kritik als wertvolles Feedback zu betrachten, anstatt als persönlichen Angriff, können wir sowohl konstruktive als auch destruktive Kritik positiv für uns nutzbar machen. Das hilft uns in unseren privaten Beziehungen und beruflich.
Natürlich müssen wir nicht jede Kritik annehmen. Es könnte ja auch sein, dass die Kritik mehr über die kritisierende Person aussagt als über uns oder das, was wir getan haben.
Entwicklung von Kritikresilienz
Einstellung zu Kritik
Kritikresiliente Menschen haben eine relativ neutrale Einstellung zu Kritik. Sie können Kritik als Rückmeldung sehen, die ganz normal ist im täglichen Miteinander. Sie sehen nicht jede Kritik ist vernichtend an oder als einen Anschlag auf ihre Person! Sie wissen, dass uns Feedback gesellschaftsfähig macht. Durch Rückmeldungen werden andere Perspektiven sichtbar. Die Auseinandersetzung mit Kritik ist ein interessantes Forschungsfeld über Werte, Bedürfnisse und Prioriäten.
Distanzierung
Wenn es uns gelingt, zwischen der Kritik und unserer Reaktion ein wenig Distanz zu bekommen, sind wir nicht mehr in einem automatischen Reaktionsmuster. Wir müssen nicht sofort emotional oder defensiv reagieren, sondern schaffen Raum um sachlicher bleiben zu können. Wir können zuhören, durchatmen und eventuell Rückfragen stellen. So gewinnen wir Souveränität.
Auch eine Distanzierung zum Sender der kritischen Botschaft kann helfen. Aus welcher emotionalen Lage sendet er und mit welcher Intention? Vielleicht hilft Empathie für den Sender/die Senderin und danach kann man sich auf eine sachliche Ebene begeben? Durch eine gewisse Distanzierung können wir entscheiden, welche Kritikpunkte für uns relevant sind und welche wir nicht für angebracht halten. Wir unterscheiden zwischen uns und unserer Leistung bzw. unserem Verhalten.
Reflexionsfähigkeit
Ein empathischer wertschätzender innerer Kritiker hilft, die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen und anzuerkennen. Wenn wir uns selbst beobachten und reflektierend betrachten, beschäftigen wir uns mit unseren Emotionen, Gedanken und Verhaltensweisen. Lernfelder werden sichtbar. Wir können auch die inneren unterstützenden Stimmen aktiv einladen, sich zu melden. So schaffen wir ein Gegengewicht, damit wir neben der Kritik auch unsere Fortschritte und Erfolge wahrnehmen. Überhaupt sollten wir freundlichen Stimmen in uns mehr Raum geben.
Selbstbewusstsein
Das Bewusstmachen der eigenen Stärken und Schwächen stärkt das Selbstvertrauen und schützt das Selbstwertgefühl. Ebenso das Bewusstsein über die Fähigkeiten und Talente. Auf dieser Basis können wir uns für unsere blinden Flecken interessieren und Erkenntnisse gewinnen.
Lernbereitschaft
Wenn wir kritikresilient sind, sind wir bereit, aus Fehlern zu lernen. Anstatt Kritik zu vermeiden oder abzulehnen, gehen resiliente Menschen eher Risiken ein. Sie wissen, dass sie nicht alles super gut machen können und dass Fehler notwendig zum Lernen dazu gehören. So sehen resiliente Menschen in Kritik eine Chance, sich weiterzuentwickeln und ihre Fähigkeiten zu verbessern.
Abschließen möchte ich mit einer Reihe von Tipps, wie Sie konstruktiv Kritik oder Feedback geben können.
Tipps zum Geben von Kritik
- Timing beachten: Geben Sie Feedback in einem ruhigen Moment, wenn beide Parteien bereit sind zuzuhören. Vermeiden Sie emotional aufgeladene Situationen. Prüfen Sie Ihre Intention!
- Ich-Botschaften verwenden: Statt Vorwürfen („Du hast…“) formulieren Sie Ihre Wahrnehmung aus Ihrer Perspektive („Ich habe bemerkt, dass…“). Das wirkt weniger anklagend.
- Konkret bleiben: Sprechen Sie konkrete Beispiele und Verhaltensweisen an, anstatt allgemein oder vage zu kritisieren.
- Sandwich-Methode: Beginnen Sie mit etwas Positivem, geben Sie dann konstruktive Kritik und schließen Sie mit einem weiteren positiven Aspekt ab, um den Ton freundlich zu halten.
- Lösungen anbieten: Geben Sie nicht nur Feedback, sondern bieten Sie konkrete Vorschläge zur Verbesserung an. Das signalisiert Unterstützung und Hilfsbereitschaft.
- Auf den Tonfall achten: Sprechen Sie ruhig und respektvoll. Der Ton macht einen großen Unterschied darin, wie Feedback aufgenommen wird.
- Fragen stellen: Statt sofort Kritik zu äußern, fragen Sie nach der Absicht hinter dem Verhalten („Was war dein Ziel dabei?“). Das schafft Raum für ein Gespräch.
- Empathie zeigen: Zeigen Sie Verständnis für die Perspektive der anderen Person. Das fördert eine offene und kooperative Atmosphäre.
- Feedback regelmäßig geben: Anstatt Kritik aufzustauen, geben Sie regelmäßig kleinere Rückmeldungen. Das verhindert, dass Feedback überwältigend wirkt.
- Offenheit für Rückfragen signalisieren: Ermuntern Sie die Person, nachzufragen oder das Feedback zu besprechen, um sicherzustellen, dass keine Missverständnisse entstehen.
Wie aber entwickeln wir einen für uns förderlichen Umgang mit Kritik?
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