Meine persönlichen Erfahrungen mit dem 100 Day Project: Ein kreativer Reisebericht
Das 100 Day Project ist eine kreative Herausforderung, bei der die Teilnehmenden für 100 Tage in Folge an einem persönlichen Projekt arbeiten. Also ein hunderttägiges persönliches Kreativprojekt. Es wurde ursprünglich von der Künstlerin Elle Luna und der Designerin Lindsay Jean Thomson ins Leben gerufen. Ihr Ziel war es, Menschen dazu zu ermutigen, täglich etwas Kreatives zu schaffen und Fortschritte öffentlich zu teilen. In diesem Beitrag möchte ich von den Erfahrungen meiner kreativen Reise erzählen, als ich in der ersten Jahreshälfte 2024 zum ersten Mal beim 100 Day Project mitmachte.
1. Meine Bedenken zu Beginn
Hellhörig auf dieses Kreativprojekt wurde ich bei meiner Lehrerin Cornelia Zelinka-Bodis. Ich bin in ihrer internationalen Online-Malgruppe und sie erwähnte gelegentlich ihre hunderttägigen Projekte. Aber bitte, sie ist Illustratorin und Künstlerin, also gehört sowas einfach zu ihrem Alltag. Zu meinem jedoch sicher nicht. Wie sollte das gehen: 100 Tage UND 100 Ideen!? Also eher nichts für mich. Leider!
Eine Woche vor dem Start der diesjährigen Challenge (18. Feb. – 27. Mai 2024), bekam ich dann in einem Newsletter den Aufruf zum 100 Day Project mit. https://www.the100dayproject.org/
Ich hatte es für mich ja eigentlich nicht näher in Erwägung gezogen, denn woher sollte ich bitte die Zeit hernehmen, woher die Motivation für 100 Tage am Stück und nicht zuletzt woher 100 Ideen??? Ich brauchte in meinem Alltag sicher nicht noch zusätzlichen Stress mit so einer hunderttägigen Challenge!
2. Ein eigenes kreatives Vorhaben definieren
Aber die Einladung zu diesem Projekt war dann sehr niederschwellig und einfach zu verlockend. Es wurden nur ganz wenige Kriterien genannt und in den FAQ wurde alles noch genauer erklärt.
- Das persönliche Projekt kann alles sein, wozu man Lust hat, oder wo man eine Fertigkeit verfeinern möchte: Malen, Handarbeiten, Schreiben, Fotografieren, Tanzen usw.
- Es sollte in 5 – 10 Minuten pro Tag machbar sein.
- Die Materialien sollten reisetauglich sein (Format, Menge an Utensilien)
Besonders überzeugend war für mich der Satz:
Taking five minutes out of the day to do something just because you love it is pretty radical.
Dafür eine Disziplin aufzubringen und eine Routine zu entwickeln, schien mir sehr wertvoll und ohnehin notwendig für mein inneres Wohlbefinden und meine Ausgeglichenheit. Deshalb hatte ich mir für dieses Jahr vorgenommen, wieder selber mehr kreativ tätig zu sein und mehr zu experimentieren. Ich weiß schließlich, wie gut mir das tut und wie lebendig ich mich dabei fühle. Ich weiß auch aus Erfahrung, wie leicht ich dieses Bedürfnis im Alltag überhöre.
3. Mein persönliches 100 Day Project 2024
So kam mir schnell die Idee für mein persönliches Projekt. Dieser Rahmen hat mir überhaupt ermöglicht, ins Tun zu kommen. Ich musste mir nicht täglich die Frage stellen: „Was mache ich heute?“ Der Rahmen war von vornherein abgesteckt. Hier meine ursprüngliche Idee, die ich im Laufe des Projekts jedoch leicht abwandelte. Da ich Collagen liebe und Abstraktion, war eine Kombination aus beidem reizvoll für mich. Konkret legte ich mich fest auf folgende Eckpfeiler:
- Abstrakte Gestaltung
- Ausgehend von einem Schnippsel aus einer Zeitschrift, meinen Übungsblättern, Büchern… (Reizbildcollage)
- immer gleiches Format: A5
- mit den Materialien, die ich bereits habe (Acryl, Gouache, Wachsmalkreiden, Tusche, Deckfarben…, nicht zuletzt um alte Farben aufzubrauchen)
- Für den Fall, dass mir einmal nichts einfällt: eine alte Technik oder alte Idee wieder probieren (z. B. Stempeln, Zufallstechniken, ungewöhnliche Malutensilien wie Fundstücke aus der Natur, einfache Muster…)
3.1. Meine Zielsetzung
- Wichtignehmen meiner Sehnsucht nach kreativem Schaffen
- Wichtignehmen meiner Sehnsucht nach Experimenten mit Farben und Malutensilien
- Entwickeln (m)einer kreativen Praxis
- Mir zu beweisen, dass ich sehr wohl kreativ sein kann, um endlich den Glaubenssatz, ich sei nicht kreativ, gehen lassen zu können
- Spaß zu haben und Flow zu erleben
- Mir die Erlaubnis zum Ausprobieren zu geben, ohne dabei ein „schönes“ Ergebnis zu erwarten
- Zu lernen, okay damit zu sein, wenn etwas total misslingt
4. Umsetzung meines ersten 100 Tage Kreativprojektes
Habe ich es nun geschafft, diese 100 Tage durchzuhalten? JAAAAA! Das ist echt ein Mega-Erfolg für mich! Denn, zugegeben, es hat nicht immer Spaß gemacht. Vielleicht ist das bei 100 Tagen gar keine so große Überraschung.
Oder vielleicht doch? Wo ich es doch locker schaffe, mich jeden Tag zu duschen, die Zähne zu putzen, zu essen, zu schlafen, die Kinder zu versorgen, Alltagsgeschäfte zu erledigen… Aber jeden Tag eine kreative Auszeit zu nehmen, nein, das schaffe ich sonst nicht. Ist offensichtlich nicht oben auf meiner Prioritätenliste. Ist mir offensichtlich nicht wichtig genug, weil es ja nicht unbedingt sein muss und „nichts bringt“. (Das vermeine ich manchmal aus meinem nächsten persönlichen Umfeld zu vernehmen, was aber natürlich die reinste Projektion sein kann. Letztlich gilt es für mich zu entscheiden, was mir wichtig ist!)
5. Was meine Motivation für das 100 Day Project hoch gehalten hat
5.1. Neugier
Geholfen hat mir meine sehr lustvolle erste kreative Woche, denn mein Motto war „Neugier“. Ich fing an mit der Idee, dass ich es ja nicht unbedingt durchziehen müsste und dass ich ja jederzeit wieder aufhören könnte, wenn ich wollte. Also war ich neugierig ohne mir von Anfang an allzu großen Druck zu machen. Die erste Woche hat mir gleich so viel Spaß gemacht und es sind so interessante Seiten entstanden, dass ich selbst erstaunt war. Schon nach der ersten Woche hatte sich das Projekt für mich „gelohnt“ und ich hätte jederzeit wieder aufhören können. Aber ich war neugierig auf die zweite Woche, dann auf die dritte und so weiter.
5.2. Impulsfragen
Ich hatte mich auch für den wöchentlichen Newsletter angemeldet, wo es kurze Inputs zum Dranbleiben gab. Wir wurden öfter eingeladen, nicht das ganze Projekt für „gescheitert“ zu erklären, wenn man mal ein oder mehrere Tage nicht an seinem Projekt gearbeitet hatte. Wir bekamen auch Impulsfragen wie z. B. wie man sich das eigene Projekt etwas leichter machen könnte, damit es weiter oder wieder Spaß macht. Man war auch eingeladen, jede Woche Bilder hochzuladen. Dieser Teil hat mich überfordert, denn ich mache das in meinem Alltag nicht. Ich bin nicht sehr aktiv auf Social Media und ich wollte mich nicht ständig auch noch ums Posten kümmern müssen.
5.3. Überraschungen
Motiviert hat mich dar kreative Akt selbst. Beim Tun habe ich oft Flow erlebt. V. a. habe ich mich aber immer selbst überrascht. War zuerst das Blatt noch weiß, war danach immer etwas darauf. Nach Durstphasen hatte ich immer wieder auch Erfolgserlebnisse sozusagen aus dem Nichts. Tja und je länger ich dabei war, desto weniger wollte ich die Serie unterbrechen. Auch ein bisschen aus der Angst heraus, aus dem kreativen Flow zu fallen und nicht wieder reinzufinden.
6. Welche Schwierigkeiten ich für mein Kreativprojekt überwunden habe
- Da war einfach nur mal der normale und volle Alltag mit seinen ganz gewöhnlichen Herausforderungen.
- Bald stellte sich bei mir der Anspruch ein, doch „etwas zumindest halbwegs Ansprechendes“ zu gestalten.
- Mit 5 – 10 Minuten am Tag hat es bei mir bei weitem nicht gereicht. Ich brauchte nur in seltenen Fällen weniger als eine halbe Stunde, meist aber viel länger! Das Redimensionieren und Anpassen an meine Alltagsanforderungen fiel mir schwer. An einigen Tagen konnte ich aber einfach wirklich nur „irgendwas“ machen, um die Serie nicht abreißen zu lassen.
- Immer wieder Müdigkeit. Unter der Woche kam ich meist erst spät am Abend zu meinem Projekt. Da schien es mir oft vernünftiger, doch lieber schlafen zu gehen. Das Projekt am Morgen zu machen war auch keine Option, weil ich mich dann nicht wegreißen hätte können.
- Null Bock und keine Ideen. Auwei! Geholfen hat da aber wirklich das Tun selbst.
- Verkopfung und zu viele Möglichkeiten. Mit der Zeit sammelte ich immer mehr Schnippsel, die mir ja den Einstieg erleichtern sollten. Aber: Je mehr Schnippsel, desto mehr Möglichkeiten und desto schwieriger die Entscheidung, zum Klebestift zu greifen und eine Gestaltung fix zu machen.
- Wenn mir etwas nicht gefiel: Es akzeptieren und gut sein lassen. Nicht immer noch und noch daran herumzudoktern. Dennoch war es tröstlich, dass die meisten Gestaltungen veränderbar sind.
- Überwindung der Scheu, eigene Kreationen auf Instagram zu posten. (@mariagabriel.maltherapie) Zwar habe ich es nicht regelmäßig geschafft, aber immerhin ein paarmal.
7. Meine Learnings von diesem Projekt
Spoiler: Nicht alle dieser Erkenntnisse sind gaaaanz neu.
- Wenn man kreativ sein will, muss man Kreatives tun.
- Es lohnt sich anzufangen, auch wenn man gerade keine Lust hat. Die kommt dann meist von selbst. So wächst das Vertrauen in die eigene Kreativität und dass einem Ideen zufliegen.
- Beim Anfangen hilft: EINFACH anfangen.
- Was noch hilft beim Anfangen: einfach ANFANGEN! Man braucht nicht immer eine Idee, um anzufangen.
- Viele Effekte und Kreationen ergeben sich durch Fehler.
- Es muss nicht alles „gut aussehen“! Das geht gar nicht. Das Risiko, etwas zu verpatzen, gehört notwendig zum kreativen Prozess dazu.
- Ich kann jetzt nicht mehr von mir behaupten, ich sei nicht kreativ. Das wäre echt Unsinn. Für derartige Schwächemomente hab ich jetzt meine drei „Bilderbücher“ als Beweisstücke.
- Man muss sich nicht als Künstler*in definieren, um Spaß zu haben an kreativen Prozessen und um Schönes, Interessantes, Spannungsvolles kreieren zu können.
- Durch das Projekt sind Gestaltungen entstanden, von denen ich vorher nie gedacht hätte, dass ich sowas erschaffen könnte.
- Ich habe alte Materialien wieder entdeckt. So z. B. meine schwarze Tusche und meine Feder, mit der ich jetzt sooo viel Freude habe.
- Ich habe mich tagsüber oft auf mein Projekt gefreut. Es war schön, mich so kribbelig froh und neugierig zu erleben.
- Es tut MIR gut, gestalterisch kreativ zu sein. Also ist es FÜR MICH WICHTIG. Es liegt an mir selbst, diesem Bedürfnis Priorität einzuräumen.
8. Fazit und Ideen für das nächste Projekt
Mein erstes 100 Day Project habe ich im Mai 2024 abgeschlossen. Seither sind ca zwei Monate vergangen. Konnte ich nun nachhaltig eine kreative Gewohnheit etablieren? Einigermaßen. Das tägliche Schaffen, praktiziere ich derzeit nicht. Aber meine Sehnsucht nach immer gewagteren Farbkombinationen und abwechselnd strengen, freien, schnellen, zufälligen, spannungsgeladenen Kompositionen ist weiter aktiv. Wenn ich durch die Straßen gehe, nehme ich Farben und Formen aktiver wahr. Kunstwerke sind für mich interessanter geworden. Ich kann mir also gut vorstellen im nächsten Frühjahr wieder bei der Challenge mitzumachen. Der Rahmen, den man sich am Anfang dafür steckt, ist ein wichtiges Geländer. Hierfür sollte man vielleicht wirklich gleich zu Beginn überlegen, wie eine leichtere und schnellere Variante sein könnte, für Tage wo die Zeit besonders knapp ist. Mein nächstes Projekt sollte innerhalb einer halben Stunde machbar sein. Mein Bewegungsbedürfnis ist während des Projektzeitraums definitiv zu kurz gekommen, weil ich tagsüber während meiner Arbeit ohnehin viel sitze.
Derzeit arbeite ich an einem Kompositionsheft, wo ich Papier-Reste verarbeite. Gestaltungen mit Resten von Übungsblättern würden sich für ein 100 Tage Kreativprojekt ebenso eignen. Es zieht mich fast täglich zu diesem Heft. Eine andere Idee, die sich bei mir meldet, ist ein Projekt mit dem Motto „Quick and dirty“, denn das gelingt mir (noch) nicht so gut.
0 Kommentare